Ich glaube, dass negative Kritik keinen Sinn hat; Schopenhauer hielt zum Beispiel Hegel für einen Aufschneider oder für einen Trottel oder beides. In den Geschichten der deutschen Philosophie leben die beiden heute friedfertig zusammen. Novalis war der Meinung, Goethe sei ein oberflächlicher Autor, bloß korrekt, bloß elegant; er verglich Goethes Werke mit englischen Möbeln … Heute sind Novalis und Goethe beide Klassiker. Das heißt, was gegen jemanden geschrieben wird, setzt ihn nicht herab, und ich weiß nicht, ob das, was man für jemanden schreibt, ihn erhöht. Aber ich schreibe jedenfalls seit langer Zeit nur über das, was mir gefällt, auch weil ich meine, wenn mir etwas nicht gefällt, liegt das eher an einer Unfähigkeit meinerseits oder einer Plumpheit, und davon brauche ich andere nicht zu überzeugen.
(Jorge Luis Borges: „Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn. Gespräche mit Osvaldo Ferrari“)
Kategorie: Fragmente
Deutschland, Polen, sogar Frankreich, die Völkerschaften auf dem Balkan sowieso, der gesamte Kontinent war dem Briten, der nun in Kohlfurt ausharrte, stets unheimlich geblieben. Der Kontinent, das war dieses undurchdringliche Gewirr von Ethnien, Sprachen, Kulturen mit selten dauerhaften Grenzen. Ein riesiges pulsierendes Durcheinander sowie ein Pulverfass. Konnten die Europäer, die Menschen jenseits des Ärmelkanals, nicht einfach zu Hause bleiben und die Türen von innen verriegeln? Der Welt wären die meisten ihrer Kriege erspart geblieben. Obendrein diese kulinarischen Eigentümlichkeiten in Friedenszeiten: abscheuliches Weichgetier in den Töpfen Frankreichs, offenbar unerreicht köstliches Gebäck in Wien, saurer Braten im Rheinland, ganze Schweinsköpfe und subtile Sülzen. Alles zu viel, zu vielfältig, wenn auch anregend, vielleicht ingeniös, auf alle Fälle zu konfus für ein Gemüt aus Ipswich. Sollten die Europäer sich doch zerfleischen oder sich eine Hauptstadt und eine Ordnung geben, damit das Vereinigte Königreich, vorzüglich durch Wogen umschlossen und ein wenig ausgesperrt, endlich Ruhe vor den kontinentalen Besessenheiten bekäme. Zwei zänkische Parteien im Unterhaus genügten; mehr Stimmen und Meinungen mochten zwar bereichern, doch beförderten sie auch Unklarheit, Verdruss und nicht selten unerwünschten Wandel. Andererseits gehörte Britannien fraglos und unabänderlich zu Europa und würde ohne den konfus-einfallsreichen Kontinent an sich selbst ersticken. (Hans Pleschinski, „Wiesenstein“)
Die Frage „gedrucktes Buch oder E-Book?“ ist eine Glaubensfrage, die leidenschaftliche Leserinnen und Leser zehn Jahre nach dem Durchbruch des E-Readers immer noch ähnlich stark bewegt wie die Frage „bio oder industriell?“ den bewussten Konsumenten. Die Romantiker unter ihnen zelebrieren Haptik und Optik des klassischen Buches. Die Technikaffinen setzen auf Komfort, Barrierefreiheit und elektronischen Minimalismus beim Lesen, jedenfalls solange der Akku reicht.
2012 habe ich mir meinen ersten E-Book-Reader zugelegt, fünf Jahre später den zweiten. Noch immer lese ich sowohl gedruckte Bücher als auch elektronische, denn gerade für fremdsprachiges Lesen bieten letztere Vorzüge, die ich nicht mehr missen möchte. Allerdings geht es mir hier nicht um die Vor- oder Nachteile der beiden Medien, sondern um eine ganz andere Frage: Spielt es eine Rolle, ob man den Inhalt eines Buches in gedruckter Form oder in Gestalt der Pixelkompositionen von liquid crystals oder E-Ink zu sich nimmt?
„Nos esse quasi nanos gigantum umeris insidentes“
…meint Bernhard von Chartres schon im 12. Jahrhundert: „Wir sind wie Zwerge und wir sitzen auf den Schultern von Riesen“. Er schuf damit ein Bild für die Situation von Wissenschaftlern, die als Nachgeborene immer schon über einen besonderen Erkenntnisvorsprung verfügen, weil sie auf all dem aufbauen können (oder müssen), was ihre Vorgänger bereits erschlossen haben. In Bernhards mittelalterlicher Scholastik waren das noch die klassischen Denker der griechischen Antike und ihre lateinischen Interpreten. Der Gedanke selbst ist allerdings zeitlos und er trifft nicht nur auf die Geschichte der Wissenschaften zu, sondern auch auf Sprache und Literatur
Die Frage, ob Kunst nützlich sein kann, soll oder darf, wird in Philosophie und Literaturtheorie seit Jahrhunderten kontrovers diskutiert. Wenn Kant in seiner Kritik der Urteilskraft (1790) in Bezug auf die Schönheit vom „interesselosen Wohlgefallen“ spricht, meint er damit, dass Kunst nicht zweckgebunden sein, nicht funktionalisiert werden darf. Aber ist das wirklich so einfach?
Wie viele zwischenmenschliche Beziehungen – zu Freunden, Verwandten, aber auch Partnern – gehen im Laufe eines Lebens verloren? Lose Kontakte verflüchtigen sich oft stillschweigend, heute vermutlich weniger bedingt durch trennende Entfernungen, als durch chronischen Mangel an Zeit oder an dem was tiefer verbinden könnte. Daneben gibt es aber auch die einschneidenden Erfahrungen, den Bruch, der einer oft langjährigen Beziehung ein jähes und schmerzliches Ende bereiten kann.
Sport ist heute ein technologisch hochgerüstetes und konsumierbar gewordenes Massenphänomen. Umso mehr lässt sich aber auch wieder ein Trend zurück zum Einfachen feststellen: Calisthenics hat zum Beispiel die Parkbank und die Teppichstange als Sportgeräte für sich entdeckt und im Crossfit werden Sandsäcke, Strohballen und Traktorreifen gewuchtet, gestemmt und geschleift. Diese reduzierten Mittel leisten oft mehr als teure Fitnessmaschinen. Dazu kommt der Reiz des Ursprünglichen, die Nähe zur Natur und das besondere Gefühl der Freiheit, mit dem zu trainieren was eben zur Hand ist.