Grabungsfelder

Grabungsfeld Baskenland

Meine Beschäftigung mit diesem rebellischen Nest inmitten des grünen spanischen Nordens geht zurück auf eine Reise im September 2016. Eine kulinarische Fährte dorthin war schon in Barcelona gelegt worden, wo das Restaurant „Bilbao“ im Stadtteil Gracia unmissverständlich klar macht, dass die Basken es mit den Tapas allemal aufnehmen und noch viel mehr als nur Pintxos zubereiten können. Bei aller Traditionsfixiertheit scheint es – verglichen mit den freiheitsliebenden Katalanen – im Baskenland zum Thema Unabhängigkeit in den letzten Jahren eher still geworden zu sein. Und Angst vor baskischen Terroristen muss man inzwischen auch nicht mehr haben.

Es ist in vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Region, selbstbewusst in der Festlegung ihrer Grenzen, sperrig in der Sprache und eigenwillig noch heute in Bezug auf Identitätsfragen. Leicht tendiert man dazu, den Eigensinn dieses Völkchens zu bewundern, das sich seine Identität gegenüber äußeren Anfechtungen so lange bewahrt hat und auch heute noch wahrt. Dass hier vor allem in den letzten beiden Jahrhunderten eine deftiges Maß an politisch-kulturellem Konstruktivismus im Spiel war – in den Anfängen rassistisch motiviert, in der Folge terroristisch bis aufs Blut verteidigt – ist ein Befund, von dem die Literatur über das Baskenland in all ihren Formen Zeugnis ablegt.

Rätselhafte Sprache

Die sprachliche Ausdehnung des Baskenlandes stimmt nicht mit den administrativen Grenzen der autonomen Region überein, sondern reicht über das östlich angrenzende Navarra bis in den südwestlichen Saum der französischen Region Aquitanien hinein. Das Baskische ist eine der ältesten und rätselhaftesten Sprachen Europas. Eine Verwandtschaft zu anderen umgebenden Sprachfamilien konnte nicht nachgewiesen werden. Jahrhunderte hindurch hielt dieses Volk von Viehzüchtern und Hirten im vertrauten gebirgigen Gelände den feindlichen Anstürmen durch Römer, Muslime, Goten und schließlich auch dem Machtanspruch des erstarkenden spanischen Nationalstaats stand, so dass sich auch das Baskische als isolierte Sprache über Jahrtausende leidlich halten konnte. Dennoch war es im Laufe des 19. Jahrhunderts nahezu ausgestorben. Erst im Zuge des aufkommenden baskischen Nationalismus ab 1880 wurden neue Wiederbelebungsversuche unternommen. Anders als beim Katalanischen konnte man dabei allerdings nie auf eine literarische Tradition zurückgreifen. In seiner heutigen Form ist das Baskische ein linguistisch modernisiertes Rekonstrukt, das im Kern auf Sabino Arana y Goiri, den Begründer des radikalen baskischen Nationalismus zurückgeht.

Ähnlich wie das Katalanische wurde auch die baskische Sprache und mit ihr verbunden das historisch tief verwurzelte Autonomiebedürfnis der Basken unter Francos Diktatur bekämpft und die Bevölkerung scharfen Repressionen ausgesetzt. Viele Basken zogen sich in dieser Zeit in scheinbar unpolitische Formen zivilen Engagements im Rahmen von Clubs und Vereinen zurück (z.B. die berühmten, „Txokos“ genannten Männer-Kochclubs) und hielten dadurch das Bewusstsein der regionalen Eigenart in konsequent passivem Widerstand am Leben.

Vom Nationalismus zum Terrorismus

Die entscheidenden Schritte zur Normierung des Baskischen verzögerten sich und wurden erst in den 60er Jahren unternommen, als sich die Umklammerung durch den Franquismus allmählich zu lösen begann. Das Wiedererstarken des regionalen Selbstbewusstseins  ging ab diesem Zeitpunkt allerdings einher mit einer zunehmenden politischen Radikalisierung der baskisch nationalistischen Partei, aus der sich dann eine erste Gruppierung der ETA ausgliederte – jene terroristische Vereinigung, die zwischen 1968 und 2010 mehr als 800 Opfer forderte und sich gegen den spanischen Staat und seine Vertreter, in letzter Konsequenz aber  auch gegen die eigenen Landsleute richtete.

Profitieren konnte der Terrorismus vor allem vom Zusammenbruch der Montanindustrie ab Mitte der 70er Jahre. Was einst den Reichtum der ganzen Region ausmachte, wurde jetzt zur Falle für viele, die von Massenentlassungen betroffen waren, während die ETA eine leuchtende Zukunft in einem sozialistischen Staatswesen versprach. Befeuert durch die wirtschaftliche Depression nahm der kollektive politische Protest somit im Baskenland heftigere und dauerhaftere Formen an als in jedem anderen Landesteil Spaniens.

Baskische Diaspora

Bei aller Traditionsverbundenheit war das Baskenland über die Jahrhunderte hinweg immer auch Auswanderungsland. Industrialisierung, Krieg und Verfolgung sorgten wiederholt für Emigrationswellen, so dass sich insbesondere in Lateinamerika und den USA eine noch heute lebendige Diaspora herausbildete. Aber auch der ETA-Terrorismus trug dazu bei, dass viele ihrer Heimat den Rücken kehrten.

Nun trägt das Phänomen des Verlustes von Heimat ja nicht selten zur nostalgischen Verherrlichung derselben bei. Im Baskenland ist es aktuell wohl eher umgekehrt. Es sind vor allem selbstkritische Stimmen, die aus dem Ausland kommen, und zwar von emigrierten Schriftstellern, die nicht auf baskisch schreiben (z.B. Fernando Aramburu, Edurne Portela, Ibon Zubiaur). Dies scheint vor allem damit zu tun zu haben, dass der Terrorismus die baskische Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten tief gespalten hat und die Aufarbeitungsprozesse gerade erst am Anfang stehen. Ein distanzierter Blick von außen fällt hier oft leichter, hat es meist aber auch schwer, aus dem Inneren der Gemeinschaft heraus akzeptiert zu werden.

Tradition und Weltoffenheit – ein zukunftsträchtiges Modell?

Wirtschaftlich zählt das Baskenland heute zu einem der Aufsteiger unter den europäischen Regionen. Seit Mitte der 80er Jahre sorgte ein regionales Konzept für Strukturwandel dafür, dass sich das ehemalige Zentrum der spanischen Schwerindustrie innerhalb einer Generation zum Technologie-, Finanz- und Dienstleistungszentrum wandelte. Es fällt auf, dass Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik mit den Bemühungen um den Erhalt der eigenen kulturellen Identität massiv ineinander greifen. Nicht nur in weiterführenden Schulen ist Baskisch mittlerweile überwiegend Unterrichtssprache. Auf Stellensuche in der Region können Baskischkenntnisse Türen öffnen, die anderen Bewerbern verschlossen bleiben. Zugleich ist man aber bemüht, neben der Tradition auch auf Weltoffenheit und Internationalität zu setzen. Ein vorausweisendes Modell vor dem Hintergrund der Europa aktuell plagenden Separatismusängste?

Auf dem deutschen Buchmarkt ist das Thema Baskenland noch nicht recht angekommen. Es bleibt zu hoffen, dass sich das mit einem möglichen Erfolg auch der deutschen Fassung von Fernando Aramburus Patria ändert. Der Großteil der im Folgenden genannten Titel liegt (noch) nicht in deutscher Übersetzung vor. Mit der Frage „Was ist baskische Literatur?“ und den politischen und wirtschaftlichen Implikationen der Frage, ob Literatur über das Baskenland in baskischer oder spanischer Sprache verfasst wird, beschäftigt sich Isabella Caldart in einem interessanten Beitrag auf Novellieren.

Die folgende Liste umfasst ein breites Spektrum vom Sachbuch über den Essay bis zur Fiktion (inklusive zweier Filme). Genannt sind jeweils die spanischen oder englischen und – wenn verfügbar – die deutschen Titel. Für einige original baskische Werke zitiere ich die Titel der spanischen Übersetzung, die dann auch Grundlage der Besprechungen sein werden.

Literaturverzeichnis

Geschichte

  • Mark Kurlansky: A Basque History of the world / Historia vasca del mundo (1999) [Notiz]
  • Carlos Collado Seidel: Die Basken. Ein historisches Portrait (2010)

Die Entstehung des baskischen Nationalismus

Guernica und der Spanische Bürgerkrieg

  • Ramiro Pinilla: El higuero / Der Feigenbaum (2006)
  • Gijs van Hensbergen: Guernica: Biographie eines Bildes (2007)
  • Kirmen Uribe: Lo que mueve el mundo (2012) [Notiz]
  • Benjamin Inal: Gernika / Guernica als Erinnerungsort in der spanischsprachigen Literatur (2015)
  • Xabier Irujo: Guernica 1937. The Market Day Massacre / Gernika, 26 de abril de 1937 (2017)

ETA und die Folgen

Postnationalismus, Globalisierung und Erinnerung