El color del camaleon (Belgien, Chile 2016)

Es erinnert an narrative Verfahren der Traumatherapie, was der belgische Regisseur Andrés Lübbert in diesem Dokumentarfilm mit seinem Vater inszeniert. Die Produktion wurde im Rahmen des 32. Münchner Dok.fest 2017 gezeigt und gilt als einer der Favoriten für den Publikumspreis.

Nach dem Sturz des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende durch einen Militärputsch Augusto Pinochets im Jahr 1973 war Andrés Vater, der damals 20-jährige Jorge Lübbert, vom chilenischen Geheimdienst DINA zwangsrekrutiert und einem psychologischen Prozess der Dehumanisierung unterzogen worden. Es ging in diesem Experiment darum, Menschen durch massive Konfrontation mit Schreckensbildern, Folter und Mord so weit abzustumpfen, dass sie sich als willfährige Marionetten des Machtapparates im Kampf gegen Regimegegner manipulieren ließen. Dass lateinamerikanischen Diktaturen kein Horror fremd war, ist nicht neu. Dass sie in dieser Art der psychologischen Kriegsführung jedoch federführend von den USA angeleitet wurden und dass die in Panama gelegene Escuela de las Américas (heute ein Luxushotel) als Brutstätte lateinamerikanischer Diktatoren und ihrer Handlanger gelten konnte, war mir bislang unbekannt.

Lübbert entzog sich dem Schrecken, ließ seine Familie zurück und floh zu seinem Bruder in die DDR. Aus ideologischen Motiven pflegte der SED-Staat in dieser Zeit besonders enge Beziehungen zu lateinamerikanischen Sozialisten und Kommunisten und nahm tausende verfolgter Chilenen auf. Dennoch wurde Lübbert von der Stasi umfassend bespitzelt, folgerichtig als Agent der DINA verdächtigt und ausgewiesen, ging zunächst nach Westberlin, später nach Belgien. Gerade der Umstand, dass diese Ausweisung für den Vater in der Rückschau überraschend und unerklärlich war, macht nun den Sohn misstrauisch und setzt dessen Nachforschungen in Gang.

Der bei der Filmpräsentation anwesende Andrés Lübbert erinnert sich an einen Vater, der ihm als Kind ein Rätsel war, von Schlafstörungen und Abhängigkeiten geplagt, schweigsam, schwer zugänglich und häufig abwesend. 30 Jahre hatte er beruflich sein Leben als Kameramann in Kriegsgebieten riskiert, v.a. im nahen Osten. Zwölf Jahre habe ihn die Auseinandersetzung mit seinem Vater gekostet, deren Ergebnis jetzt als Dokumentarfilm vorliegt, berichtet der heute 32-jährige.

Sehr schmerzlich wird für Jorge Lübbert die Reise zurück nach Chile. Wie ein fordernder Therapeut treibt sein Sohn ihn immer weiter in die eigene Vergangenheit hinein, konfrontiert ihn immer wieder mit Archivrecherchen zu seiner Person, von Protokollen aus dem Stasi-Archiv bis hin zu Dokumenten des chilenischen Geheimdienstes über ihn selbst, aber auch über seine Peiniger. Im Film sprechen die beiden Spanisch, was keinesfalls selbstverständlich ist. Andrés hatte es erst mit 19 gelernt, Jorge eine Kommunikation in seiner Muttersprache immer abgelehnt: Eine Neubegegnung also, auch auf sprachlicher Ebene. Es sind starke, sehr nahe gehende Momente, wenn die beiden gemeinsam jene Orte des Schreckens aufsuchen, die das traumatisierte Gedächtnis gerne aus der Erinnerung gelöscht hätte: hier ein verfallenes Fabrikgebäude, dort ein dunkler Keller oder Sektionssaal eines pathologischen Instituts in Santiago de Chile. Die Nah- und Großaufnahmen Jorges am Ende solcher Besuche dokumentieren starke Emotionen und innere Widerstände gegen das Erinnern.

Dass Andrés Lübbert diese Begegnung mit seinem Vater ein vitales Anliegen war, spürt man mit jeder Silbe: „Kinder haben ein Recht darauf, die Geschichte ihrer Eltern zu kennen“, fordert er im Anschluss an den Film. Haben sie das wirklich? – ist man zu fragen versucht. Dass unverarbeitete Traumata über Generationen hinweg weitergegeben werden ist eine Lektion, die jeder Krieg erteilt. Insofern darf man ihm sicher recht geben, wenn er diese Auseinandersetzung einfordert. Wie weit darf man dabei gehen? Die filmische Darstellung findet bei aller Härte dennoch das richtige Maß. Der Sohn ist unbequem, drängend, manchmal ungeduldig, aber auch sensibel und liebevoll. Die Frage, ob und inwieweit das Opfer auch selbst zum Täter geworden ist, bleibt offen. Das Chamäleon wahrt sein Geheimnis.

Im September wird El color del camaleon in 20 Städten Lateinamerikas gezeigt, auch in Chile. Die Diktatur liegt noch nicht lange zurück und ein Teil der Chilenen verdrängt oder negiert noch immer dieses dunkle Kapitel. Man darf gespannt sein, wie der Film dort aufgenommen wird.


Camaleon

El color del camaleon (Belgien, Chile 2016)

Regie: Andrés Lübbert / Sprache: Spanisch; Untertitel: Englisch / 89 Minuten