Annette Kolb: „Ich hätte dir noch so viel zu erzählen“. Briefe an Schriftstellerinnen und Schriftsteller (2019)
Als „Spiegel der Seele“ wurde der Brief in der Antike bezeichnet. Und selbst im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit von Bild und Ton scheint der gute alte, wenn auch völlig aus der Zeit gefallene Brief immer noch ein Medium zu sein, das uns Menschen in einer Weise nahebringen kann, die an Authentizität kaum zu überbieten ist. Dies ist mir bislang noch nie so bewusst geworden wie bei der Lektüre von Annette Kolbs Briefen an Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Nirgends dürfte man dieser – heute nicht mehr allzu bekannten – Zeitgenössin und Freundin der Manns und Hermann Hesses, René Schickeles, Kurt Tucholskys, Carl Zuckmayers u.v.a. so nahe kommen wie in ihren Briefen, vermutlich nicht einmal in ihrem literarischen Werk selbst. Neben ihren bekanntesten Romanen, Das Exemplar, Daphne Herbst und dem autobiographisch geprägten Die Schaukel, in dem sie rückblickend die Münchner Gesellschaft der Belle Epoque portraitiert, schrieb sie viele Feuilletonartikel zu musikalischen Themen und zur deutsch-französischen Verständigung.